Knut Strittmatter verteidigt seinen Vater Erwin bei einer Diskussionsrunde in Spremberg
„Ich respektiere seine Entscheidung“
Die Diskussionsrunde über Erwin Strittmatters Vergangenheit am Donnerstag in Spremberg war nicht die erste in der Lausitz. Doch diesmal war zum ersten Mal ein Sohn des Schriftstellers beteiligt: Knut Strittmatter.
Knut Strittmatter wirkt zierlicher als Erwin Strittmatter, aber im Gesicht mit dem ergrauten Bart sind sich beide sehr ähnlich. „Es ist meine Aufgabe, das Ansehen meines Vaters zu verteidigen“, sagt der 72-Jährige mit etwas brüchiger, aber lauter Stimme. Um sie zu erfüllen, ist er aus Leipzig nach Spremberg gekommen, wo Erwin Strittmatter Ehrenbürger ist, aber die Mehrheit der Stadtverordneten eine öffentliche Ehrung zu seinem 100. Geburtstag im August abgelehnt hat. Die Partei „Die Linke“ hat zum Podiumsgespräch ins Kulturschloss eingeladen. Die Luft im bis zum letzten Platz gefüllten Festsaal ist gewitterschwül. Alle paar Minuten krachen Donnerschläge durch die weit geöffneten Fenster. Zusätzlich setzt nun herzlicher Applaus für den Sohn des berühmtesten Schriftstellers der Lausitz ein. Renate Brucke, die Vorsitzende des Bohsdorfer Strittmatter-Vereins, berichtet von einer „Welle der Sympathie“ und von zahlreichen Neueintritten, die der Verein erlebe, seit über die lange verschwiegene Kriegsvergangenheit Erwin Strittmatters (1912-1994) öffentlich gestritten wird.
„Da wird einem warm ums Herz“, kommentiert Knut Strittmatter solche Reaktionen. „Traurig“ machten ihn dagegen die Vorwürfe, Erwin Strittmatter habe sich – erst bei einem nationalsozialistischen Polizeiregiment und später als Zuträger der Stasi – „zwei Systemen angedient“. „Solche Verabsolutierungen werden meinem Vater nicht gerecht. Kann man die DDR und das Dritte Reich miteinander vergleichen? Nein“, argumentiert der Leipziger. Und der Saal applaudiert.
Erwin Strittmatter hatte acht Kinder von drei Frauen. Knut Strittmatter kam 1939 im thüringischen Saalfeld als einer der Söhne aus erster Ehe zur Welt. Bevor er seine Jugend bei seinem Vater in Spremberg und Schulzenhof verbrachte, wuchs er in Heimen auf, eines davon in Cottbus.
„Auf sich fixiert“
Der Journalist Hellmuth Henneberg, der die Podiumsdiskussion moderiert, fragt ihn nach dem Zusammenleben mit dem Vater. „Er war streng und auf sich fixiert. Sein unwahrscheinliches Arbeitspensum ließ ihm nicht viel Zeit, um die kindlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Großen Austausch von Zärtlichkeiten hat es nicht gegeben.“ So beschreibt Knut Strittmatter seine Kindheit neben Erwin Strittmatter. Eine schöne Erinnerung seien die gemeinsamen Ausritte, bei denen der Vater ihm die Natur nahebrachte. Diese Erfahrungen haben den Sohn, der auf eine Berufslaufbahn als wissenschaftlicher Experte für Schafzucht zurückblickt, offenbar sehr geprägt.
„Hat Ihr Vater jemals mit Ihnen über seine Kriegserlebnisse gesprochen?“, möchte der Moderator wissen. „Das muss ich verneinen. Ich hätte mir das gewünscht. Aber ich respektiere seine Entscheidung, zu schweigen. Kriegserlebnisse waren nichts, womit man hausieren ging“, antwortet Knut Strittmatter. Wieder Applaus, dazu Blitz und Donner.
Gelassenheit empfohlen
Das Gespräch geht nun über zu der Frage, warum die Enthüllungen über Erwin Strittmatters Zugehörigkeit bei einem Polizeiregiment, das Kriegsverbrechen beging, rund 70 Jahre später so heftige Emotionen auslösen. Detlef Nakath, Historiker und Vorsitzender der linkennahen Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg, spricht jetzt über politische Tabus bei der Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs in der DDR. „Vieles ist damals versäumt worden, deswegen fällt die Diskussion jetzt so heftig aus“, sagt er.
Carsten Gansel, Literaturprofessor aus Gießen, stimmt ihm zu. Gansel empfiehlt den Sprembergern mehr Gelassenheit im Umgang mit Strittmatter. Sie könnten die neuen Erkenntnisse über seine Biografie aufnehmen und sich sachlich damit auseinandersetzen. „Warum sollte es nicht unterschiedliche Meinungen geben?“, fragt er. Den Streitpunkt, ob die Stadt dem prominenten Autor weiter offizielle Ehrungen widmet, hält der Gießener für nicht wesentlich: „Wäre Strittmatter auf öffentliche Ehrungen so scharf gewesen?“
Knut Strittmatter verfolgt alle Äußerungen konzentriert. Er wirkt in sich gekehrt auf seinem Podiumsplatz auf der Bühne. Und seinem Vater ziemlich ähnlich.